TELEVISION (Selection)
Director
Durch die Nacht mit Chris Dercon und Matthias Lilienthal (ZDF/ARTE 2013)
“Sie sind unterschiedliche Charaktere: Dercon, feinsinniger Bildungsadel, hat in Vorbereitung auf den Abend alle möglichen Unterlagen von seinem Partner angefordert, Lilienthal, eher der fröhliche Berserker (oder “Edelpenner”, wie Dercon irgendwann kontert), stürzt sich einfach hinein in das Londoner Abenteuer und hat als Ausweis seiner wilden Intellektualität ein kinderhaft, stümperhaft eingepacktes Geschenk für Dercon dabei. Das letzte Mal hat man sich bei der Berlin Biennale 2012 getroffen – man hat sich viel zu erzählen. Und der Zuschauer hat das Gefühl – wie oft bei dieser Serie -, dass die Protagonisten die Kamera einfach vergessen.
Beim Rundgang in der Tate treffen der Museums- und der Theatermann den isländischen Performance-Künstler Ragnar Kjartansson und – wie kann es anders sein – sprechen über die Beziehung zwischen darstellender und bildender Kunst. Weiter geht’s zum deutschen Fotografen Wolfgang Tillmans und nach “Little Beirut”, wo Libanon-Kenner Lilienthal sich wohlfühlt. Schließlich besuchen die beiden den Theaterautor Tim Etchells. Und als Geist und wiederkehrendes Gesprächsthema ist Christoph Schlingensief immer bei den beiden. Wenn das mal keine gute Runde ist!” Daniel Völzke, Monopol
“Ein Pub ist ein Pub ist ein Pub, sollte man meinen, wenn man in London unterwegs ist, aber hier wirkt die Kneipe namens Horseshoe wie ein seltsames Relikt aus einer versunkenen Epoche. Chris Dercon, der Chef der Tate Modern, und Matthias Lilienthal, der Theatermacher aus Berlin, feiern ihr Debüt als Alleinunterhalter in der Dokumentarreihe Durch die Nacht mit. . ., sie haben sich schon ein paar Stunden warmgeredet und jetzt Lust auf ein Bier und auf eine Runde Dart. Wäre eigentlich ganz entspannt, wenn man nicht das Problem hätte, immer alles hinterfragen zu müssen. Also greift sich Dercon den Wirt, einen unendlich freundlichen Londoner: Warum die Menschen in dieser gefräßigen Metropole nicht Widerstand leisteten, obwohl sie aus ihren Vierteln vertrieben werden, von den Leuten, die das ganz große Geld verdienen und London Stück für Stück in eine Art Dubai verwandeln? Der Pub-Betreiber, dessen Familie längst vor den Toren der Stadt lebt, weil das Leben in London zu teuer ist, antwortet mit heiterer Melancholie. Es ist eine dieser lakonischen Szenen, die das Format Durch die Nacht mit. . . sehenswert machen.”
Christian Meyer, Süddeutsche Zeitung
Durch die Nacht mit Ulrich Seidl und Josef Bierbichler (ZDF/ARTE 2013)
“In der mit ukrainischer Musik und feinen Beobachtungen angereicherten 50-Minuten-Collage ist es komisch, traurig und anrührend zugleich zu sehen, wie sich zwei leidenschaftliche Sinn-Arbeiter an ihre Ministranten-Zeit erinnern (Bierbichler: ‘Ich war sogar Oberministrant. Einer, der die anderen verwalten konnte.’ Seidl: ‘Aha, ein Streber’). Wie sie sich darum streiten, wem mehr Macht zusteht, dem Regisseur oder dem Akteur (Seidl: ‘In der Kunst gibt’s koa Demokratie – da kommt ja nix dabei heraus’). Wie sie sich vorwerfen, Abitur zu haben, zu viel zu trinken oder eine ‘Attitüde’ zu pflegen (Bierbichler zum Monokel-Träger Seidl). Manchmal duzen sie sich, dann siezen sie sich wieder. In einem lädierten Mietwagen (‘Wie heißt unser Chauffeur?’ ‘Keine Ahnung’) fahren sie in den Sonnenuntergang, den Bierbichler schön, Seidl jedoch kitschig findet … Beim letzten Absacker in einem Kiewer Kellerlokal legt der Seidl (‘Leckt’s mi am Oasch’) plötzlich seinen schmutzigen Schuh auf den Tisch. Der Kellner untersagt ihm das. Das Künstlerleben, es muss ein Rausch sein. Und dieser könnte ewig währen.”
Martin Zips, Süddeutsche Zeitung
“Diese Folge von Durch die Nacht mit… hätte auch gerne in Echtzeit laufen können. Selbst mit dem relativ traurigen Schluss in dem tristen Restaurant. Aber vom Bierbichler als Schauspieler ohne Drehbuch und Seidl vor der Kamera hat der Zuschauer selbst in geschnittener Version immer etwas. Bleibt zu hoffen, dass Arte die Folge bald in den Youtube-Kanal stellt.” Michael Tetzlaff, Frankfurter Rundschau
Durch die Nacht mit Tom Schilling und Olli Schulz (ZDF/ARTE 2013)
“Wenn Tom Schilling an Olli Schulz gerät, wird daraus … einer der seltenen Fernsehmomente, die zwischen Inszenierung und Wahrhaftigkeit nicht bloß Grenzen ausloten, sondern überspringen wie ein Tennisball das Netz. Und es ist ein schöner Regieeinfall, dass sie sich auf dem Court begegnen, zum kleinen Match inmitten Berlins. Da stehen sie nun mit Schläger und in Turnschuhen: der redselige Selbst- und der scheue Fremddarsteller, einander nah und doch so fern, nach den Spielregeln urbaner Spaßkultur total ungezwungen und doch Gefangene der Konventionen … So nimmt er also alkoholschwanger seinen Lauf, der Trugschluss, die Kameras liefen bloß nebenbei, als sei man unter sich, also: authentisch. Und doch zeigt dieses Stück zufallsgesteuerte Metropolenprosa 52 wunderbare Minuten lang eindrücklich, was Beobachtung mit Menschen macht, die der Wille zur Selbstbehauptung nicht davor bewahrt, zum Spielball eines Mediums zu werden, das ihnen angeblich alle Freiheiten lässt … So gelingt dieser Folge von Durch die Nacht mit … fast beiläufig ein kleines Wunder, mindestens aber grandioses Fernsehen. „Vielleicht wird’s interessant, vielleicht wird’s total langweilig“, sagte Tom Schilling zu Beginn und lag damit ähnlich richtig wie im Nachsatz: „In jedem Fall aber wird es einzigartig.“ Mehr kann man am Bildschirm nicht verlangen.”
Jan Freitag, Berliner Zeitung
ENGLISH: “When Tom Schilling comes up against Olli Schulz, it is one of those rare television moments that not only explore the boundaries between staging and truthfulness, but also jump over them like a tennis ball over a net. And it is a beautiful idea by the director that they meet on the court, for a small match in the middle of Berlin. There they stand with rackets and in trainers: the talkative self-actor and the shy outsider, close to each other and yet so far away, totally at ease according to the rules of urban fun culture and yet prisoners of conventions … And so it takes its course, pregnant with alcohol, the fallacy that the cameras are merely running alongside, as if it were just the two of them, in other words: authentic. And yet this piece of randomly controlled metropolitan prose impressively shows for 52 wonderful minutes what observation does to people whose will to assert themselves does not protect them from becoming the plaything of a medium that supposedly gives them every freedom … So this episode of Through the Night with … succeeds almost casually in creating a small miracle, or at least grandiose television. ‘Maybe it’ll be interesting, maybe it’ll be totally boring,’ says Tom Schilling at the beginning, and was just as right as he was in the postscript: ‘But in any case it’ll be unique.’ You can’t ask for more on screen.”
Camera
60 Minuten Freiheit (BR 2013)
“Philosophisch ist die Dokumentation des Bayerischen Rundfunks durchaus anspruchsvoll geworden und besticht durch eine gelungene avantgardistische Umsetzung, die sich sowohl von der Selbstdarstellung einer verkappten intellektuellen Elite als auch der vermeintlich messianischen Philosophie-für’s-Volk-Ideologie eines Precht abgrenzen kann … Die Dokumentation hinterfragt Freiheitsbegriffe auf allen möglichen Ebenen – und das stets mit ehrlichem Interesse, keinem aufgesetzten, sondern einem authentischen Realitätsbezug, und einer knackigen, narrativ wie visuell ambitionierten Aufmachung. Ein wahres Highlight, von dem man sich schnellstmöglich mehr wünscht.”
ENGLISH: “Philosophically, the documentary by Bayerischer Rundfunk has become quite sophisticated and captivates with its successful avant-garde realisation, which can distinguish itself both from the self-representation of a disguised intellectual elite and the supposedly messianic philosophy-for-the-people ideology of a Precht … The documentary questions concepts of freedom on all possible levels – and always with honest interest, no pretence but an authentic reference to reality, and a crisp, narratively as well as visually ambitious presentation. A true highlight, of which one wishes for more as soon as possible.”
Author, Director
Girls in Popsongs (RBB/ARTE 2011)
“Girls in Popsongs-Regisseur Markus Heidingsfelder war für seine exzellente Poprecherche außerdem bei Leonard Cohens “Suzanne” Verdal, die immer noch “rags and feathers from salvation army counters” zu bevorzugen scheint und nach einem Tanzunfall jahrelang fast mittellos in ihrem Hippietruck leben musste. Er sprach mit Helo Pinhero, dem echten “Girl from Ipanema”, das zwischenzeitlich knappe Bikinihöschen verkaufte und von der damaligen Weigerung erzählt, sich mit Sonnenmilch einzucremen: “Es hat mich besonders gefreut, dass es im Original heißt: gebräunt von der Sonne von Ipanema!” Und bei Sharona Alperin, einer sympathisch pferdegesichtigen Immobilienmaklerin aus Kalifornien, zog das verzweifelte “My Sharona” von The-Knack-Sänger Doug Fieger sogar eine vierjährige Beziehung nach sich: “Ich habe ihn verlassen, weil ich auch mal wieder meine Sharona sein wollte.” Die große Stärke an Heidingsfelders Dokumentation ist die Verortung der Frauen in der Gegenwart: Auch aus angeblich unsterblichen Musen werden irgendwann Insolvenzverwalterinnen oder Hausfrauen, Maklerinnen oder Moderatorinnen. Jenny Zylka, Spiegel Online
ENGLISH: “Girls in Pop Songs director Markus Heidingsfelder went to Leonard Cohen’s ‘Suzanne’ Verdal for his excellent pop research. She still seems to prefer ‘rags and feathers from salvation army counters’ and had to live almost penniless in her hippie truck for years after a dancing accident. He spoke to Helo Pinhero, the real ‘Girl from Ipanema’, who in the meantime sold skimpy bikini panties and tells of her refusal at the time to put on suntan lotion: ‘I was particularly pleased that in the original it says: tanned by the sun of Ipanema!’ And in the case of Sharona Alperin, a sympathetic horse-faced real estate agent from California, The-Knack singer Doug Fieger’s desperate ‘My Sharona’ even entailed a four-year relationship: ‘I left him because I wanted to be my Sharona again, too.’ The great strength of Heidingsfelder’s documentary is the location of the women in the present: even supposedly immortal muses eventually become insolvency administrators or housewives, real estate agents or presenters.
Author, Producer, Director (with Min Tesch)
Rem Koolhaas – A Kind of Architect (ZDF/ARTE 2007)
“The only movie about me I like.” Rem Koolhaas
“Busy, captivating.” The Seattle Times
“Ein gelungenes Filmexperiment.” Gottfried Knapp, Süddeutsche Zeitung
“As Koolhaas has climbed to the rank of starchitect, most of us have become familiar with his personality only filtered through his buildings and drawings. The documentary does a fascinating job at explaining his character directly and provides a personal look into his prolific and complicated mind. The film is resourceful in presenting early footage of Koolhaas’ foray into film; also informative are the interviews from well respected individuals including Cecil Balmond, Richard Meier and Joshua Ramus.” Build Movie Review
“Ein Essai mit den Mitteln des Films, von durchaus eklektischer Art – wie Koolhaas’ Architektur selbst. Der Versuchung, den hochmögenden Baukünstler, der Kunst und Bauen unablässig in Zweifel zieht, durch biographische, ‘menschelnde’ Anbiederung dem Publikum ‘nahe zu bringen’, ihn harmlos erscheinen zu lassen, das Kühne, Verstiegene seiner Projekte, die Escher- und Piranesianmutung durch halbgare Etikettierungen verdaulich zu machen, dieser Versuchung widerstehen die beiden Autoren von Anfang an tapfer: Koolhaas erscheint als die Zumutung, die er immer schon war.” Daniel Krause, Medienobservationen
ENGLISH: “An essai with the means of film, of a thoroughly eclectic nature – like Koolhaas’ architecture itself. The temptation to ‘bring the audience close’ to the highly wealthy building artist, who constantly casts doubt on art and building, by biographical, ‘humanising’ ingratiation, to make him seem harmless, to make the bold, lofty nature of his projects, the Escher and Piranesian impression digestible through half-baked labelling, is bravely resisted by the two authors from the very beginning: Koolhaas appears as the imposition he always was.”
“Es gibt viele Gründe diesen Film zu mögen. Er analysiert präzise, schafft assoziative Verknüpfungen und spielt mit dem Experimentellen. Den beiden Autoren gelingt es Koolhaas’ vernetzte Gedankenwelt in ein puzzleartiges Bildergewebe zu übersetzen ohne in motivische Beliebigkeit zu verfallen. Den zahlreichen Einflüssen im Koolhaas’schen Kosmos gewinnen sie eine jederzeit verständliche und klare Struktur ab.” Peter Pohl, detail.de
ENGLISH: “There are many reasons to like this film. It analyses precisely, creates associative links and plays with the experimental. The two authors succeed in translating Koolhaas’ interconnected world of ideas into a puzzle-like visual fabric without lapsing into motivic arbitrariness. They extract a clear structure from the numerous influences in Koolhaas’s cosmos that is understandable at all times.”
“Hyperdichte schnelle Schnitte, comicartige Collagen, kurze Kommentare im Off, gezerrte Töne. Ein filmisches Experiment. Ganz im Sinne von Koolhaas, ein Experiment Architektur auf Zelluloid zu brennen. Ein Erfolg. Denn Koolhaas und Film sind ein harmonisches Pärchen. Als ehemaliger Drehbuchautor inszeniert er sein architektonisches Set und lässt den Zuschauer durch einen räumlichen Film laufen. Am eindruckvollsten bebildert bei der Casa da Música in Porto. Hier der spacige Eingang, dort die Rolltreppe, die vorbeifahrenden Wände, das Licht am Ende des Tunnels, der filmreife Auftritt, das akustische Erlebnis. Formal auch noch eine Spitze gegen den Schuhkarton. Ein Versuch dem Denken Koolhaas’ und AMO näher zu kommen. Geistige Gefährten im Gespräch mit der Kamera erleichtern den Zugang. Sehr schön wird das im Film pointiert, als der große Meister sein Abschlussplädoyer hält und seine Schüler, hintereinander geschnitten, wortlos lauschen.” Nancy Jehmlich, Stylepark
ENGLISH: “Hyper-dense fast cuts, comic-like collages, short off-screen comments, jagged sounds. A cinematic experiment. Quite in the sense of Koolhaas, an experiment in burning architecture onto celluloid. A success. Because Koolhaas and film are a harmonious couple. As a former screenwriter, he stages his architectural set and lets the viewer run through a spatial film. Most impressively illustrated at the Casa da Música in Porto. Here the spacy entrance, there the escalator, the passing walls, the light at the end of the tunnel, the cinematic performance, the acoustic experience. In formal terms, it is also a point against the shoebox. An attempt to get closer to the thinking of Koolhaas and AMO. Spiritual companions in conversation with the camera facilitate access. This is beautifully emphasised in the film when the great master gives his closing speech and his students, cut one after the other, listen wordlessly.”
“Wittily employing animations, collages, and visual tricks, this penetrating portrait is as cool, quirky, and full of subtle surprises as a Koolhaas construction.” Bustler
“Meeslepend portret van een visionaire architect.” Marit Overbeek
“The 2007 documentary, Rem Koolhaas: A Kind of Architect, essentially begins with the question, ‘Who is Rem Koolhaas?’ While a conventional enough query, directors Markus Heidingsfelder, also the writer, and Min Tesch do not take a conventional approach to answering it. There are some elements of traditional biography in the answer, you learn that Koolhaas’ grandfather was an architect, for example, but for the most part the filmmakers choose to deconstruct, rather than unify, their subject …
In the film, of course, Rem Koolhaas is examined as being the product of these intertwining influences, but the filmmakers and their informants clearly find room for the individual as unique synthesizer of contributions and influences and Koolhaas is that individual at OMA and AMO. The idea of the architect as cultural assemblage or construction is punctuated by the use of paper doll style animations that give Koolhaas a variety of guises and poses.” Shaun Huston, Pop Matters