Die Auffindung des heiligen Sebastian wurde zweimal aufgefunden. Ein Professor für Kunstgeschichte bevorzugt die sogenannte ‚Berliner Fassung‘. Er zieht sie der sogenannten ‚Pariser Fassung‘ vor. Als ich ihn darauf hinweise, dass es sich im Falle des Berliner Bildes lediglich um eine Kopie handle, eine technisch weniger aufwendige Variante, erwidert er:
“Dennoch ist die Berliner Fassung das bessere Bild. Zwar ist die Bildfläche in Paris insgesamt heller, weil der Maler durch erhebliche Beimischung von Lapislazuli für einen dauerhaften Erhalt der blauen Farbe gesorgt hat. Im Berliner Bild, das materiell weniger ambitioniert ausgeführt wurde, hat das Fehlen von Lapislazuli zu frühzeitiger Verdunkelung geführt. Aber dadurch kommt der Chiaroscuro-Effekt weitaus stärker zum Tragen. Und für nichts ist Georges de la Tour bekannter und zu Recht mehr geschätzt.”
Bitte was für ein Effekt?
“Das spektakuläre Helldunkel. Die Berliner Fassung stellt eine Steigerung dieser Kontrastmalerei dar. Sie ist gleichsam helldunkler. Und das kommt meiner Meinung nach dem Charakter der de la Tour’schen Werke als auch der auf dem Bild gezeigten dramatischen Episode näher als die Pariser Fassung.”
Das Bild ist also nicht etwa deshalb besser, weil es das bessere Bild ist, sondern weil es – selbst wenn es nicht von der Hand des Meisters stammt – sozusagen mehr Georges de la Tour ist als die Pariser Version?
“Ganz genau.”
Wenn aber doch der Materialverschleiss für dieses ‚Mehr‘ an de la Tour gesorgt hat, dieses Mehr also dem Macher unterlaufen ist, wenn das ‚Helldunklere‘ sich der Einwirkung der Zeit verdankt und nicht der Intention des Bildherstellers…
“Das ist kein Einwand.”
Nicht?
“Nein. Es ist in seiner unmittelbaren Wirkung das bessere Bild. Allein darauf kommt es an.”