Aus Sicht der Ästhetik ist Kunst die Abweisung des auf das Vergnügen der Sinne reduzierten Vergnügens. Denn das Genießen behagt hier nur der Wahrnehmung bzw. den Sinnen, mit Kant: »mittelbar aber, d.i. durch die Vernunft, die auf die Folgen hinaus sieht, betrachtet, missfällt« es. Die Folgen: Man verliert sich im Objekt, die Distanz zwischen Vorstellung und Vorgestelltem wird aufgehoben. Diese Rückkehr auf die Stufe der Animalität und der Körperlichkeit gilt es zu bekämpfen: »Der Geschmack ist jederzeit noch barbarisch, wo er die Beimischung der Reize und Rührungen zum Wohlgefallen bedarf, ja wohl gar diese zum Maßstabe seines Beifalls macht.« (Schopenhauer) Das, was durch sinnliche Attraktivität in Leibnähe rückt, ist zu verneinen. Kunst ist so gesehen alles andere als eine pleasure technology (Pinker). Andacht – bzw. deren säkularisierte Form: Konzentration, Sammlung – geht notwendig auf Abstand zum Körper. Sie ist nur mit dem Bewusstsein zu leisten, weshalb Adorno »Schlager und beat« – die »Gattung der Konsumentenkunst« – gleichermaßen ablehnt. Der Zweck der Musik ist hier negativ bestimmt, es geht um die Nichtbefriedigung von Bedürfnissen, um ein Vorenthalten durch vorschnelles Entgegenkommen. Einem andächtig lauschenden Hörer sind die Äußerungen eines Mozart oder Beethoven nicht eine Lustquelle. Komponieren gleicht eher einer Art Trauerarbeit, sie ist eine in Töne übersetzte Lust-Hemmung, die bereits die Sakralmusik praktizierte: Zölib-Art. Dem sinnlichen Lustgefühl darf man den Geist nicht ausliefern. Aufgabe und Zweck der Kunst sei nicht, so auch Hegel, »die schlummernden Gefühle, Neigungen und Leidenschaften ALLER ART zu wecken und zu beleben, das Herz zu ERFÜLLEN«, den Menschen »alles durchfühlen« zu lassen. Eine solche ganz formelle Aufgabe führe zur Beliebigkeit ihrer Inhalte: zu Trivialität. Kunst soll nicht nur durch Anschauung und Vorstellung beeindrucken, sondern sinnliche Darstellung der Wahrheit sein.
Bereits in den sogenannten >Coon<-Songs der Minstrel-Shows ist explizit von kulinarischen Genüssen aller Art die Rede, widmete man sich den Gaumenfreuden von Hühnern, Schweinskoteletts und Wassermelonen. Die rein ästhetische Betrachtung wird dadurch aufgehoben, dem Zweck der Kunst entgegengearbeitet. Im Pop wird nicht sukzessiv dekodiert – man lässt es sich schmecken: »Mmmh! Lecker!« Weshalb Dick Clark wenig davon hält, ästhetische Maßstäbe an sie anzulegen: »That doesn’t mean it’s good or it’s bad – that’s the equivalent of arguing the merits of hot dogs versus hamburgers.«
Die Betonung der Kunst liegt auf einer anderen Verwendung von Wahrnehmung, die Forderung lautet: Irritiere! Die Pop-Selektivität ist anders organisiert, sie stellt andere Anforderungen, sie kommt »leicht, biegsam, mit Höflichkeit« (Nietzsche) daher. Pop ist Kommunikation, die im Gegensatz zur Kunst »am Wahrscheinlichwerden des Unwahrscheinlichen das Gelingen dieses Vorgangs, nicht den Widerstand, den er überwinden muss, akzentuiert« (Dirk Baecker). Kunst widersteht dem normalen Zugriff, Popmusik macht ihn möglich. Ihre Formen fordern nichts, sie geben. Der Hörer kann auf elementare, primitive Stufen der Lust regredieren, sich an einer leicht faßlichen Melodie, einfachsten rhythmischen Schemata, eingeschliffenen Gefühlsgesten erfreuen. Und selbst bei sogenannter >anspruchsvoller< Popmusik halten sich die Anforderungen in Grenzen – denen der Wahrnehmung.
Popmusik profitiert davon, dass die Psyche in ihrer Disposition für Aufmerksamkeit irreflexiv operiert. Wahrnehmung denkt nicht nach, sie lässt sich faszinieren. Genau deshalb ist der Kunst ein Forcieren des Auffälligen spätestens seit dem 17. Jahrhundert suspekt. Pop reitet auf den Weltgewissheiten der Wahrnehmung, Kunst irritiert sie: »man stutzt. man versteht nicht. spannung entsteht, und lust im nächsten augenblick, wo es sich vielleicht klärt. oder genau nicht« (Rainald Goetz). Es geht darum, durch die Formwahl Kontingenz zu blockieren, nicht darum, sie sichtbar zu machen und die Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was man stattdessen wahrnehmen könnte. Ein Beat, eine Melodie, eine Songzeile muss unmittelbar, auf Anhieb überzeugen und sich an die Stelle möglicher Alternativen setzen: »If a song is really great … you shouldn’t really notice what’s going on, like key changes or tempo changes« (Paul McCartney). Dies ist die Stimmigkeit des Pop. Das Ziel ist ein »Ja! Ja! Ja!«, ein »Hey, super«, kein: »Die Introduktion des Riffs gemahnt an eine ähnliche Situation in Stairway to Heaven. Musiker und Hörer müssen hier still Atem schöpfen.«
Dass es dennoch Songs und vor allem Platten geben mag, die ein mehrmaliges Hören voraussetzen, ändert daran nichts. Sie verdanken sich den im Verlauf der Evolution einsetzenden Raffinierungsprozessen. Man schreibt auch weniger überzeugende Formen in das Popmedium ein, aber gibt auch diese Formen, gibt Emerson, Lake & Palmer, Harper’s Bizarre und The Mars Volta eine Chance.
Kunst hat die Herstellung von Kontingenz im Sinn, Pop nutzt die Sicherheiten der Wahrnehmung, um sie zu blockieren. Damit das möglich ist, bedient sich das System unterkomplexer Formen, die entweder unmittelbar überzeugen (Hit) oder in ihrem Versuch, zu überzeugen, scheitern (Flop). Nicht der Nachvollzug komplexer Formentscheidungen, sondern der Mitvollzug einfacher Unterscheidungen steht im Mittelpunkt, das Aufgehen in der kommunizierten Form selbst: »the experience itself, of just hearing the music or experiencing the film is the thing« (John Lennon). Der Akzent liegt nicht auf der Architektur des Geschehens – Ouvertüre-Hauptgang-Finale furioso –, sondern auf der Praxisgegenwart des Musikmachens und -hörens selbst.
Das Kunstwerk ist eine »Beobachtungsvorlage«. Verweisungen auf Nichtkunst werden mitbenutzt, aber nur, um zu zeigen: Das Material lässt sich auch anders verwenden. Pop dreht das Verhältnis um: Verweisungen auf Kunst werden mitbenutzt – aber nur, um zu zeigen: Es geht auch anders, das Material lässt sich »verpoppen«. Ja, Worte lassen sich anders benutzen, Töne anders sequenzieren, aber von diesen Möglichkeiten wird im Pop kaum Gebrauch gemacht. Die Ordnung von Pop, so unwahrscheinlich sie ist, beweist ihre Wahrscheinlichkeit gegen die Unwahrscheinlichkeit einer nur dem Selbstzweck gehorchenden Kunst. Pop sortiert also wie die Kunst Beobachter, aber die Beobachtung zweiter Ordnung macht hier in der Regel nicht auf die eigene Unwahrscheinlichkeit aufmerksam, so unwahrscheinlich Formenkombination wie Ice Ice Baby, Manic Monday oder Genie In A Bottle auch sein mögen. Mit einer gekonnten Resolutheit vernichten Pop-Songs den eigenen Auswahlcharakter: »Alles nimmt seinen Platz ein.« (Luhmann)
Wird die Musik zu anspruchsvoll, macht also Beobachtungsansprüche geltend, kehrt die Kontingenz zurück. Guter Pop – im Sinne von: Pop, der die Funktionsbedienung ermöglicht – zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er nicht anstrengt, nichts riskiert. Hier könnte ein Grund dafür liegen, dass viele US-Radiosender Soli aus ihrem Programm verbannen. Sie fordern dazu auf, die Musik zu beobachten, sei es die technische Virtuosität der Musiker, sei es deren Einfallsreichtum. Die Frage ist dann stets, ob sich ein Solo durch leichte Fasslichkeit auszeichnet, also primär an die Wahrnehmung richtet – etwa als simple Variation der Melodie – oder dafür sorgt, dass sich das Bewusstsein als denkendes in den Blick kommt. Im Pop geht es darum, dass der Hörer bei der Stange bleibt und nicht in den Horizonten des auch sonst noch Möglichen herumirrt. Die Triftigkeit eines Pop-Songs besteht in der Vorhersagbarkeit. Gerade das Unvorhersagbare, Schablonenlose signalisiert Kontingenz und damit Selbstreferenz.