88 Jahre Peter Thomas

Herzlichen Glückwunsch zum 88. Geburtstag, lieber Peter!

Danke, danke.

Wenn Du Dich selbst beschreiben müsstest: Wer ist Peter Thomas?

Hm, schwierig. Vielleicht so: Professionell. In der Not hilfsbereit. Insgesamt ok, eigentlich ganz nett. Spielt gerne ein schönes Entertainment-Piano, so wie man es “früher” in den Five Stars-Superhotels hören konnte. Aber besser Du fragst meine liebe Frau.

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Wo macht Dein müder alter Körper noch mit – und wo sagt er: Entschuldigung, das geht nicht mehr?

Meinst Du hochgerechnet im Vergleich zu Dir? Anbei ein Foto, aufgenommen in den Iden des März am Fuße einer Treppe in Lugano. Wie Du siehst: Ist alles netto noch paletti. Wenn auch das Steigen dieser Treppe nicht mehr wie früher im Allegro-Tempo geht, sondern nur mehr andante. Immerhin: ohne Stock! Lass es mich so sagen: Ich bewege mich festen Schritts im Takt der Jahreszeiten.

Musst Du jeden Tag Tabletten nehmen?

Keine. Aber Cordy, meine viel bessere Hälfte seit 52 Jahren, fordert von mir, dass ich jeden Tag 2 Liter Wasser trinke. Ich sei wie eine Pflanze. Also wässere ich mich. Aber ein halber Liter muss genügen. Ich folge dem Gebot nur zögerlich.

Ist man im Alter gelassener?

Gelassenheit, was ist das?

Das Gegenteil von Aufgeregtheit, Nervosität. Die Fähigkeit …

Schon gut. Also gelassen: bin ich vielleicht, besonnen: eher nicht. Realisiert habe ich eine Menge – und wenn ich zufällig alte Sachen von mir höre, stelle ich fest, dass ich nicht eine Note ändern würde. Da ist vielleicht eine gewisse Überheblichkeit im Spiel, aber ich empfinde es nun einmal so.

Was ist das Tolle am Alter? Und was ist das Schlimme daran?

Das Tolle ist, dass man eine gewisse Güte im Arsch hat. Pardon me. Was das Schlimme daran ist? Frag mich später nochmal. Ich danke jeden Morgen dem lieben Gott, dass er mich aufwachen lässt. Trotz des müden alten Körpers, wie Du so nett detaillierst. Schließlich ist das Zu-Bett-Gehen immer auch ein Abtauchen ins Nirvana. Mich beschleicht da jedes Mal so eine Art Endgefühl: Das könnte es gewesen sein. Schlaf als Wagnis. Dessen sollte man sich immer bewusst sein. Darum jeden Morgen: Große Freude, dass ich noch da bin. Vor allem darüber, dass meine liebe Cordy neben mir liegt. Danach begrüsst mich unser kleiner Figaro, Engländer von Beruf, unser Yorkshire-Terrier. Dann schaue ich auf den Ruhe ausstrahlenden Lago di Lugano und präludiere auf den mir zur Verfügung stehenden 88 Tasten.

Wurdest Du eigentlich in den letzten Jahren einmal operiert? Oder musstest Dich sonst einem Eingriff unterziehen?

Ist das hier ein Formular für Testpiloten oder Krokodilpädagogen? Als ich noch ganz jung war an Jahren, wurde mir in Berlin der Blinddarm entfernt. Im Martin Luther-Krankenhaus, weil ich doch evangelisch bin. Als den von Dir befragten “Eingriff” könnte ich benennen: einen Durchschuss durchs linke Ellenbogengelenk. Das war in Aachen 1943. Den Herrn aus Amerika, der schoss, kannte ich nicht. Er mich auch nicht. Glücklicherweise blieb nichts zurück.

Was rätst Du den jungen Leuten von heute?

Lernen, lernen, lernen. Nicht nur Berufsbedingtes, nein: Rundum sich bilden, sich nichts einbilden, aber eben allgemein bilden. Und bei allem Wissen nie vergessen: dass wir eigentlich nichts wissen.

Kann man Jüngeren überhaupt irgendeine Lebenslehre oder etwas ähnliches weitergeben?

Klar. Wie es Martin Luther sagte: Jeden Tag ein Bäumchen pflanzen.

Wie gehst Du mit dem Gedanken an den Tod um? Verdrängst Du den? So würde ich Dich einschätzen …

Trotz meiner Verdrängung – da hast Du recht – habe ich mir aufgrund einer Cordy-Bitte von Schopenhauer das kleine Buch “Über den Tod”
einverleibt. Aber hallo! Jedes Kapitel ist genial geschrieben, alles wunderbar beschrieben – aber da bekomme ich Depressionen im tiefsten
Minus-Minus-Moll. Ohne jeglichen Kirchentonartenbezug. Ich als Christ warte, bis ich gerufen werde.

FRÜHER/HEUTE

Deine Mutter hat dich schon mit fünf gezwungen, jeden Tag Klavier zu üben, stimmt das?

Mit fünfeinhalb, ja – und ich bin ihr unendlich dankbar dafür.

Was hast Du geübt?

Was mir der Opa wöchentlich aufgegeben hat. Er war der Kapellmeister des IV. Garderegiments zu Fuss, das zu Olims Zeiten täglich um elf Uhr zur Wache durch das Brandenburger Tor aufzog. Daher kommt meine Liebe zur Blasmusik.

Wie hast Du die Nachkriegszeit empfunden?

Als einen Neustart. Die Amis, wie wir sie nannten, waren die Steigbügelhalter. Dass wir uns trotz des verlorenen Krieges neu gestalten konnten, verdanken wir ihnen. Das sollte nie vergessen werden.

Was sind die größten Unterschiede, wenn man heute mit den 50er Jahren vergleicht?

Junge, das sind ja Fragen der Wahrheitsfindung “of the third kind”. Vom Glück des Überlebens, gepaart mit dem Willen, dem Wollen und dem Können des anständigen Deutschen, war die Stunde Null das erste Zeichen der Demokratie – wie ein Licht, ein kleines, flackerndes am Ende eines Tunnels. Der Wiederaufbau gelang. Deutschland kam aus dem Tunnel wieder ins Freie. Demokratie ist für mich nicht nur ein Wort, aber … es geht uns gut, zu gut, viel zu gut. Ein bisschen mehr Bescheidenheit, wieder ein bisschen mehr aufeinander hören, das wärs. Plus Vertrauen und Respekt. Und das von Kindesbeinen an.

Googelst Du Dich selbst?

Mitunter. Ich nenne es das internetale Wissen. Wenn ich mich da reinklicke, also zum Beispiel Peter Thomas-Musik eingebe … das ist für mich unbegreiflich, wieviele Einträge sich da finden. Was sind das für Leute, die sich damit befassen, wem nutzt es? Ich werde das nicht lesen, das geht auch gar nicht, es sind einige Millionen Einträge.

Siehst Du fern?

Ja, gestern habe ich zum Beispiel diesen traurigen Film gesehen, mit Jessica Schwarz als Romy – tollo! Da war auch Harry Meyen zu sehen, der damals wohl beste Boulvardregisseur Berlins, wenn nicht Deutschlands. Ich Trottel … weil ich den so gut fand, dachte ich: Der kann doch bestimmt auch ein Musical in Szene setzen. Also haben wir damals – das muss so gegen Ende der 50er gewesen sein – zusammen mit Klaus Wüsthoff für den SFB “Der Schuster von Palermo” produziert. Alles mit großem Gesang und großem Orchester, wunderbar von uns erdacht und von der Crème de la crème der Berliner Schauspieler gespielt, gesungen und getanzt. Rudi Greske war der Ballettmeister, am Regiepult saß Bublitz, ein Mann der ersten TV-Stunde …

Geske, Bublitz, Wüsthoff – klangvolle Namen aus einer fernen, längst versunkenen Welt …

Aber den Kameramann kennst Du bestimmt noch: Truk Branss!

Klar. Die ZDF-Hitaparade. Hieß der wirklich so?

Nein, von Haus aus hieß er mit Vornamen Kurt. Ein hochbegabter Mann.

Und wie geht die Geschichte aus? So wie Du das gerade aufbaust, muss es am Ende eine Riesen-Katastrophe gewesen sein …

So einen Spannungsbogen seid Ihr jungen Leute nicht mehr gewöhnt, was? Also, der Knüller war: Ab der ersten Probe verbat sich Meyen, Musik ertönen zu lassen.

Bei einem Musical?

Das war ja das Verrückte! Er sei bekannt für seine Inszenierungen am Theater, und Musik störe nur bei den Proben. Die war erst in den Hauptproben erlaubt, und das auch nur, weil ich das höheren Orts durchgesetzt hatte. An das Ergebnis kann ich mich allerdings nicht mehr erinnern. Meine Festplatte ist diesbezüglich gelöscht. Als ich jetzt den Romy-Film sah, fiel mir die Geschichte wieder ein. Da ist ja von Meyens Flops an der Hamburger Staatsoper die Rede – tja, hätte der Intendant von meinem Musical mit Harry gewußt, hätte er sich das ersparen können. Fazit: Wer nicht in C-Dur “Hänschen klein” spielen kann, sollte nie ein Konzert auf schwarzen Tasten geben.

ANDERE

Welche berühmten Musiker hast Du getroffen – und wer hat Dich am meisten beeindruckt und warum?

Herbert von Karajan in St. Tropez. Ein begnadeter Dirigator, ein voll in der Musik aufgehendes Genie. Alle Komponisten, denen sich Herbert von Karajan widmete, werden ihm im Musikerhimmel dankbar und ehrfürchtig die Hände schütteln, weil durch ihn, den Maestro, den Werken das höchste Maß an Authentizität zuteil wurde.

Dass der Schöpfer des New Astronautic Sound den von allen irdischen Schlacken gereinigten Sound eines Karajan schätzt, hätte ich mir eigentlich denken können. Aber Authentizität …

Nein, nein, das war und ist die Vollendung in höchster Potenz. Die Partituren wurden durch ihn geadelt und veredelt für die Ewigkeit.

Wer noch?

Leonard Bernstein in Paris. Ein Edelstein als Dirigent. Der seine Musikanten über alles liebte und mit seinen Bewegungen – dem Dirigat – zur höchstbestmöglichen Interpretation führte. Und der außerdem ein wunderbarer Komponist moderner, aber verständlicher Musik war.

Welche anderen Filmkomponisten schätzt Du und warum? Was ist z.B. von Hans Zimmer zu halten?

Allen voran: Mancini. Aber eigentlich müsste man auch Gershwin nennen, das ist für mich ein Filmkomponist – wenn auch der ganz besonderen Art. Denk nur an Rhapsody in Blue oder Ein Amerikaner in Paris, die einen Film optisch im Kopf des Hörenden entstehen lassen … Zimmer ist in personam eine kongeniale, neue, heutige Form der Filmmusik-Erstellung.

Mr. Sachs hat sich erschossen. Was hast Du gedacht, als Du es gehört hast?

Mir hat das sehr wehgetan, aber ich respektiere diese Entscheidung. Gunter Sachs ist, war und bleibt: eine einmalige, epochale Persönlichkeit.
Mit vielen Faszetten – von faszinosum. Ein großer Kunstkenner und Mäzen, ein stilbildender Fotograf der allerobersten Liga und ein genialer Kreativ-Filmer. Ich bin sehr dankbar, dass ich für ihn diverse Filmmusiken schreiben konnte, Happening in White zum Beispiel … Wir kannten einander 45 Jahre und unsere Wege kreuzten sich mehrfach – und das war immer eine sehr freundschaftliche Begegnung.

Du warst der Erste, der einen Titel mit Donna Summer aufgenommen hat …

“Black Power”, ja – mit einem Text von Cordy. Damals ging das gerade erst los mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, das war sehr vorausschauend von ihr. Das ist wieder so eine Peter Thomas-Story, Donna war ja Musical-Sängerin, als sie zu mir kam. Damals hieß sie noch Donna Gaynes – und keiner wollte sie haben. Nach mir hat dann Moroder sie “übernommen” und dann kam der Welterfolg. Ich hatte das vollkommen vergessen, bis mich die Nachricht von ihrem Tod erreichte.

Und wie war sie so?

Lieb. Gut zu handlen. Irre jung. Schwarz! Und ganz anders in voice und Geste als die sonst so herumschwirrenden Blondchen.

Zwei Worte zu Moroder …

Den habe ich nur ein einziges Mal getroffen. Ich weiß nur noch, wie er komponierte: auf einem Stylophon, auf dem Fußboden liegend.

POLITIK

Welche Gesellschaftsform findest Du adäquat?

Gegengefragt: Adäquat? Auf alle Fälle nicht eine Form, in der jeder eine Lebensgrundhonorierung erhält – egal ob er arbeitet oder nicht.

Was würdest Du ändern, wenn Du König von Deutschland wärst?

Für die, die aus der Kirche ausgetreten sind bzw. sich als überzeugte Atheisten geben, erlasse ich an dem Tag, an dem ich gekrönt werde, folgendes Gesetz: dass diese Personengruppen keinen Anspruch mehr haben, religiöse Feiertage für sich zu nutzen. Weihnachtszeit, 1.und 2. Feiertag, Ostern, Pfingsten, auch Himmelfahrt – da kommt beim Fiskus Freude auf. Die Produktion bei VW und Mercedes, bei der Pharmaindustrie und so weiter könnte um ein Vielfaches gesteigert werden. Das alles si j’étais roi – übrigens ursprünglich der Titel einer komischen Oper von Adolph Adam.

Du hast einmal gesagt: In allen Musiksparten sei das Ende der Kletterstange erreicht. Eine schöne Formulierung, die die ganze
Postmodernismus-Debatte auf den Punkt bringt. Wenn das Ende erreicht ist – wie geht es dann aber von hier aus weiter?

Zunächst müsste man – wenn man will, dass sich etwas ändert – den Strom teurer machen. Strom at home nur noch zwei bis drei Stunden täglich. Fazit: Keine electronic instruments laufen mehr, keine Playbacks mit gut klingenden Chören, die schlecht singende, aber hübsche Stars accompagnieren … Und dann: wird die alte Zupfgitarre wieder rausgeholt. Und das Klavier bekommt einen neuen Stellenwert! Heute hat es ja nur noch einen Stellwert, man stellt es wertfrei an irgendeine Wand. Die Leute haben vergessen, welche Glücksgefühle entstehen können, wenn man mit den eigenen Händen kleine Melodien erzeugt. Das wäre doch schön – wenn man zur Basis des Musikmachens zurückkehren würde. Am liebsten natürlich ohne Stromsperre.

GRUNDSÄTZLICHES

Was ist Musik?

Das, was dich nie enttäuscht.

Es gibt unentscheidbare Fragen, die nur wir entscheiden können. Bitte entscheide Dich: Ist das Universum unendlich oder hört es irgendwo auf?

Es ist unendlich, sonst würde es ja irgendwo aufhören.

Hat das Leben einen Sinn? Welchen?

Es muss einen Sinn haben. Und sei es der, dass du mich nach seinem Sinn fragen kannst. Ich überlasse das Texten ja normaliter meiner Frau, aber dazu habe ich einmal etwas geschrieben:

WER WEISS SCHON, WER ER IST,
DASS ER GLAUBT, DASS ER SEI,
WER ER IST, WAS ER IST,
WO ER IST, WARUM ER IST.
DAS IST DIE FRAGE ALLER FRAGEN.

Welche Drogen hast Du – jenseits vom Alkohol – genommen?

Keine. Musik ist für mich Droge genug. Jenseits vom Alkohol ist übrigens gut – ich trinke seit zehn Jahren keinen Tropfen mehr. Nach dem Motto: Jugend ist Trunkenheit ohne Wein. Aber im Jenseits: Nobody knows. Vielleicht genehmige ich mir da ja wieder ein Gläschen.

Zum Schluss noch ein paar Entweder-Oder-Fragen. Mozart oder Beethoven?

Mozart.

Kapitalismus oder Sozialismus?

Kapitalismus.

Katholizismus oder Buddhismus?

Protestantismus.

Du weißt aber schon, dass Du dann nicht in den Himmel kommst …

Sagen die Katholiken.

Dur oder Moll?

Und!

Beatles oder Stones?

Beatles.

Lennon oder McCartney?

Le – non: but yes.

Als man Loriot gefragt hat, was auf seinem Grabstein stehen soll, sagte der: Mein Name wäre ja schon einmal nicht schlecht. Was soll auf Deinem stehn?

Musik: Peter Thomas.