Subversion wirkt im Pop als Differenzgeber. Sie präfiguriert die Reflexionsmöglichkeiten – als eine Form, die alle anderen Formen instruiert. Man spricht in diesen Fällen auch von einem Paradigma.
Das Subversions-Paradigma sieht vor, dass Pop sich positiv in der Gesellschaft verwirklicht, indem er sich negativ zu ihr einstellt. Pop wird zur widerständigen Kraft stilisiert, als Gegeninstanz (‘Korrektiv’) zu den gesellschaftlichen Verhältnissen begriffen. Der Begriff der Subkultur erlaubt es, den Phänomenbereich ungenau abzugrenzen. Doch für Orientierungszwecke reicht er aus. Unterhalb der herrschenden Kultur, so die Idee, bilden sich Kulturen, in denen sich abweichender Sinn länger halten kann: Sub-Versionen des offiziellen, Vorschläge, was man anstelle des Gewohnten anders machen könnte. Etwa: Flops den Hits vorziehen. Oder: ohne Vorbehalte Eigenschaften des Großstadtlebens feiern. Für interne Gleichheit sorgen. Reichtum für alle. »Ficken auf der Straße, Rock’n’Roll für umsonst, Dope für umsonst, alles für umsonst.« (Mike Kelley über die White Panthers)
Pop-Kultur als Subkultur richtet sich also nicht allein gegen Massen- und/oder Hochkultur, sondern immer auch gegen eine politische und wirtschaftliche Kultur, die als operative Einheit imaginiert wird, als ein ›hegemonialer Block‹. Oft ist auch von einem ›System‹ bzw. ›Schweinesystem‹ die Rede. Dieser Einheit wird eine andere Einheit gegenübergestellt: die Einheit der von ihr beherrschten Menschen (the people). Das Ergebnis sind zwei Kulturen, eine Kultur der Industrie und eine Kultur der Leute, die entweder einfach besser ist, oder im Optimalfall so viel besser ist, dass sie subversive Kräfte entfaltet.
Bereits bei Charlie Gillett findet sich diese Idee in Grundzügen ausgeführt, indem er »Publikum oder Schaffende« auf der einen und »die Geschäftsleute« auf der anderen Seite positioniert, die von den Stars und Fans gezwungen werden, »einen neuen Stil zu akzeptieren«: »Der Aufstieg des Rock’n’Roll ist dafür der Beweis.« Die Idee der Pop-Kultur als Gegenkultur geht davon aus, dass auch die Politiker durch Pop dazu gezwungen werden können, einen neuen Stil zu akzeptieren. Aus dem Widerstand gegen eine bestimmte Art von Produkten wird so zuletzt der Widerstand gegen den Staat bzw. das Establishment. Will man die dieser Theoriefigur zugrunde liegenden Unterscheidungen besser verstehen, empfiehlt es sich, sie zu kontextieren.
Für Adorno/Horkheimer war das Populäre noch eine negative Kategorie. Man wollte dem Phänomen keine kulturelle Eigenwertigkeit zugestehen, weshalb Adjektive die Aufgabe der Charakterisierung übernahmen. Das Populäre wird markiert als kindisch, unernst, niedrig, regressiv. Da sich populäre Musikformen längst von der Verankerung in der Volksmusik gelöst hatten und nun nicht mehr die Tradition, sondern der kommerzielle Erfolg sie legitimierte, wurde populäre Musik als eine zur Volksmusik antithetisch gesetzte Kategorie etabliert, ihr als einer organisch gewachsenen, mündlich tradierten Form von Musik gegenübergestellt. Von Erbgesang im Sinne Herders konnte ja keine Rede sein: »Wenn die Volkslieder zu Recht oder Unrecht herabgesunkenes Kulturgut der Oberschicht genannt wurden, so haben ihre Elemente jedenfalls erst in einem langen, vielfach vermittelten Prozess der Erfahrung ihre populäre Gestalt angenommen. Die Verbreitung von popular songs dagegen geschieht schlagartig.« (Adorno) Aus dem »Industrieetablissement« Robert Walsers – der »Weitläufigkeit des warenfabrizierten Wesens«: »was für den Betrieb der Zivilisationsmaschinerie taugt« – wird bei Adorno/Horkheimer die »Kulturindustrie«, eine Manipulations- und Entfremdungsmaschinerie, ein Erfüllungsgehilfe des Kapitals, zusammengeschraubt aus Unterhaltung, Wirtschaft und Politik. Dieser Golem folgt einem einzigen Prinzip: dem Maximalprofit.
Die erstaunliche Karriere des Begriffs verdankt sich nicht nur dem Umstand, dass man mit einem Mal über eine Adresse verfügte, die man verantwortlich machen konnte: erstens für konventionalisierte Produkte, zweitens für die schlechten Verhältnisse, in denen die Menschen lebten. Vor allem erlaubte es das Konzept, bessere Verhältnisse einzuklagen. Dirk Baecker hat darauf aufmerksam gemacht, dass der Zusammenhang zwischen der Kommunikation von Unterhaltung, Information und Aufklärung auf der einen und der Entwicklung eines skeptischen und aufgeklärten Bewusstseins auf der anderen Seite kaum ein zufälliger ist. Doch die Vorstellung, dass es um Planung und böse Absichten geht, um einen Täter, der hinter all den Fehlformen steckt und die Menschen manipuliert, wird der Komplexität gesellschaftlicher Effekte kaum gerecht – auch der ästhetischen Komplexität der Produkte nicht. Ein Pop-Song informiert über weit mehr als nur den eigenen Warencharakter oder ›Massenbetrug‹. Pop ist raffiniert – boshaft ist er nicht.
Wie gelingt es der Subversionstheorie, die viele Grundannahmen der Kritischen Theorie teilt, die verhasste Massenkultur in eine Attraktion zu verwandeln, sie »euphorisch Pop [zu] nennen«? Zum ersten Mal begegnet der Versuch, einen Unterschied im Unterschied zu machen, bei Umberto Eco, der auf die Bestimmungsversuche des Populären durch die Kritische Theorie reagiert. Um das Populäre unabhängig vom Konzept der »Kulturindustrie« betrachten zu können, wird es einerseits vom Massenkulturellen, andererseits von einer authentischen, nationsbildenden Volkskultur unterschieden. Das Resultat sind drei Bestimmungen des Populären: a) folk art, b) mass art (Adorno, Horkheimer, ohne pejorative Deutung: Alloway) und c) popular art/culture. Stuart Hall und Paddy Whannel werden an diese Dreiteilung anschließen, um »Pop art« als etwas Besseres gegenüber der »Mass Art« auszeichnen zu können. Doch worin genau besteht der Unterschied? Inwiefern artikuliert sich das Populäre »unter den Bedingungen der Massengesellschaft und in konkreten Zusammenhängen des Massenkulturellen […], ohne in diesem aufzugehen«? Der Vorschlag von Hall/Whannel bemüht Lenins Differenz Masse/Avantgarde: »The popular artist may use the conventions to select, emphasize and stress … so as to delight the audience with a kind of creative surprise. Mass art uses the stereotypes and formulas to simplify the experience, to mobilize stock feelings and to ›get them going‹.« Dann wäre »Popular art« aber nichts anderes als Kunst. Die Eigenständigkeit des Phänomens lässt sich auf diese Weise nicht begründen.
Bereits Ernst Bloch hatte versucht, mit einer ähnlichen Unterscheidung gute von schlechter Massenkunst zu trennen: der von Kitsch/Kolportage. Dem Kitsch, so Bloch, sei es nur um eine »falsche schöne Bildwirkung« zu tun. Zwar träume auch die Kolportage, aber richtig: »Revolution, gelingendes Leben«. In ihr gehe es nicht um das bloß passive Betrachten, sondern um Wunschphantasien der Erfüllung. Der »Glanz« dieser Wunschphantasien diene somit nicht nur zur Ablenkung oder Berauschung, dem fröhlichen Einverstandensein, sondern der Aufreizung und dem Einbruch. Die Kolportage sei ein »bewaffnetes Märchen«, »aktivierte ›Unterhaltung‹ an mythischen Mächten und vor allem als deren Sturz«, ein Wunschtraum, der alles »in bar« meine, ein »wetternder Bildnebel von befriedigender Rache«. Aber wie lässt sich die Aktivierung begründen, wenn doch – mit Adorno – die gesamte Praxis der Kulturindustrie das Profitmotiv blank auf die geistigen Gebilde überträgt und so deren Autonomie beseitigt? Wie kommt das gelingende Leben in die falschen Produkte? Dass es bei popular art um eine spontan aus den Massen aufsteigende Volkskultur gehen könnte, hatte man kategorisch ausgeschlossen. Gab es demnach eine gute und eine schlechte Kulturindustrie? Dann wäre die Allgegenwart dieser Industrie genauso wie die Herrschaft des Tauschprinzips gebrochen. Die gute Industrie würde Einspruch erheben gegen die verhärteten Verhältnisse, die schlechte dafür sorgen, dass die Menschen sich in sie eingliedern. Hier der Versuch, allgemeines unkritisches Einverständnis an den Mann zu bringen, Reklame zu machen, für die Welt, wie sie ist; dort eine Kultur, die den Menschen nicht bloß zu Willen ist, sondern als unmittelbar und lebendig auftritt, das Formgesetz ästhetischer Autonomie respektierend. Alles wäre halb so wild.
Blochs Antwort war die Idee einer revolutionären Perspektive, die in manchen Werken der Massenkultur zum »Vor-Schein« komme. Dieser Sonderweg einer anthropologischen Dialektik, die zentrale Marx’sche Annahmen zugunsten eines Prinzips der Hoffnung einfach verwarf, war für die neomarxistischen Pop-Theoretiker kaum akzeptabel. Hilfe kam von Seiten der Rezeptionsästhetik, insbesondere von Roland Barthes, dessen Schema lexie/lexiques (Redeweise/Leseweise) sich für die eigenen Zwecke nutzen und mit neomarxistischen Annahmen koppeln ließ. Der New Criticism mit seiner Feier freischwebender Bedeutungen hatte hier entsprechende Vorarbeit geleistet. Die Kulturindustrie, so Hall, bestimme den Konsum ihrer Werke eben nicht allein von sich aus. Denn die Art und Weise, wie etwas encodiert werde, sage noch lange nichts darüber aus, wie man es schließlich decodiere. So wie der Leser aus einem Text überhaupt erst einen literarischen Text macht und derart zur Konstituente von Literatur wird, so vermag er auch einen trivialen Roman in einen profunden, Kitsch zuletzt in Kolportage zu verwandeln. Brecht und Benjamin waren noch vom Autor als Produzenten ausgegangen, bei Hall wird der Leser selbst zum Produzenten, der den Kitsch der Kulturindustrie ›umfunktioniert‹. Ab sofort wird nichts mehr einfach in die Leute gestopft, sind sie nicht mehr nur willentliche Abnehmer, ein Sekundäres, Einkalkuliertes, bloßes Anhängsel der Maschinerie, wie die Kritische Theorie es postuliert hatte. Die Maschine gibt es zwar immer noch, Massenkultur ist nach wie vor böse, zudem sind die Deutungsmöglichkeiten durch die Dispositionen der Werke begrenzt – man kann nicht einfach Zettels Traum lesen, wenn man Harry Potter liest –, doch jetzt wird die Eigenleistung der Rezipienten betont. Sie sind es, die einen Songtext oder einen Film in Form bringen und ihn im besten Falle in Pop-Kultur übersetzen. Die Lücken in den Texten, Filmen, Songs machen es möglich – Leerstellen, die der Leser füllen muss. Für John Fiske ist es im Anschluss an McLuhans Thesen vom kühlen Medium der stückwerkartige, fragmentarische Charakter des Fernsehens, der diese Lücken anbietet und damit automatisch Möglichkeiten der Entwicklung eigenständiger, ja widerständiger Rezeptionsweisen nahelegt. Adornos Diktum war: »Vergnügt sein heißt Einverstandensein.« Popular art bezeichnet ein Vergnügen, das nicht einverstanden ist. Es ist die Lust, ja die Wollust am Rekombinieren und Resignifizieren, die den Profitinteressen und damit der Entwürdigung entgegenwirkt und die Unterhaltung aktiviert. Indem der Müll, den die Kulturindustrie den Menschen vorsetzt, von diesen rekombiniert wird, kann er so seiner wahren Bestimmung zugeführt werden. Die Menschen konsumieren nicht mehr nur populäre Kultur als Ware, sondern transformieren die von den Herrschenden angebotenen Produkte, arbeiten mit ihnen, und bilden so ihre eigenen Konstruktionen von sozialer Identität aus, dekonstruieren das Konstruierte, resignifizieren und rekombinieren. Der Genuss führt so zuletzt zur Freiheit. Als Kronzeuge der These von der widerständigen Publikumskultur dient der Müller Menocchio aus Friaul, der 1583 der Häresie angeklagt wurde. Menocchio hatte die Bibel in einer Art Cut up-Verfahren mit Bocaccios Decameron und einer italienischen Übersetzung der Voyages von Jean de Mandeville kombiniert, Worte und Sätze ausgesondert, variiert, die einzelnen Abschnitte nebeneinander gestellt, überraschende Analogien produziert, also ganz im Sinne der Theorie etwas »aus den sowohl diskursiven wie materiellen Ressourcen« gemacht, »die von jenem sozialen System geliefert wurden, das ihn unterdrückte« (Hall). Dick Hebdige beschreibt diese Prozesse als Strategien der Vereinnahmung, als »Verwandlung subkultureller Zeichen (Kleidung, Musik etc.) in massenhaft produzierte Objekte (die Warenform)«.
Doch der Pop-Kultur droht die ständige Vereinnahmung durch das Hegemonialprojekt: der Sell-out. Gerade weil sie sich gegen die dominante Kultur definiert, produziert sie Differenzen, mit denen diese dann wiederum arbeiten kann. Das Dagegen erweist sich als flüchtig, zerbrechlich, zart: »Aber die dissidente Authentizität dauert nur einen kurzen Moment, dann kommen die bösen äußeren Mächte und kooptieren das gerade Gespielte.« (Gurk)
Aus evolutionärer Sicht handelt es sich bei den als Vereinnahmung beschriebenen Prozessen schlicht um das evolutionäre Wechselspiel von Variation, Selektion und Restabilisierung. Für die Subversionstheorie ist die Restabilisierung das Problem, soll die Selektion einer Variation doch zum Strukturbruch führen, das Ende der kapitalistischen Herrschaft, der Korruption, der alten Gesellschaftsordnung herbeiführen. Die innovierten Strukturen sollen dem System ja gerade nicht eingepasst werden. Im Gegenteil, es gilt jede Ausgleichsentwicklung zu verhindern. Nur: Wo soll sich denn Strukturbildung auswirken, wenn nicht in der Gesellschaft?
Selbst dafür wird aber noch der Gegner verantwortlich gemacht: »Seht Euch das Establishment doch einmal genauer an. Ihr seht, es besteht aus Gummi – es paßt sich an, indem es sich ausweitet, indem es sich ein bißchen weiterdehnt und alle verrückten Exzesse und Abweichungen schluckt.«