Kein Bewusstsein ist Person, ist Sozialstruktur. Aber Bewusstsein kann durch die Form Person supercodiert werden, die es dann möglich macht, auf die eine oder andere Seite dieser Form zu setzen, sich also so zu verhalten, dass die auf die Person bezogenen Verhaltenseinschränkungen entweder sozial konfirmiert werden – oder die Grenze zu kreuzen, die Chancen der Unperson zu genießen und die mit der Personalität verbundenen Zumutungen zurückzuweisen. Etwa jene Personen Spießer zu nennen, die auf korrekte Zitierweisen setzen, um stattdessen die sozial mögliche Konfirmation der Nonkonformität zu wählen und sich als schamloser Plagiator zu outen: “Die Nichtanerkennung der Eigentumsverhältnisse, die Abschaffung des Tauschprinzips kann nur durch den Diebstahl durchbrochen werden!”
Das Schema Person enthält also einerseits die Zumutung bestimmter Erwartungen und unterstellt andererseits eine Instanz, die den Erwartungen zuwiderhandeln kann – Bewusstsein, „freien Willen“. Doch die Freiheitsgrade sind sozial konditioniert. Es gibt kein Entkommen, keinen Ausbruch aus der Gesellschaft. Auch Kannibalismus ist nur eine Option unter anderen.
Dadurch, dass ein Name (Annette Schavan) oder eine Rolle (Ministerin für Bildung und Forschung) genannt wird, werden Erwartungen dirigiert. Personalität wird versachlicht und zugespitzt. Das kann mitunter dazu führen, dass man zu dem Wesen wird, das andere in einen hineinsehen, als das man in der Kommunikation erscheint. Rolle und Namen organisieren Irritabilität, erst sie machen klar, was zu erwarten gewesen wäre. Was erscheint, ist eine prinzipiell benennbare, durch Kommunikation erreichbare Umwelteinheit – ein Bündel kommunikativer Erwartungen, die insofern unsichtbhar sind, weil sie erst im Falle einer Abweichung vom Gewohnten, Erwarteten sichtbar werden.
Im normalen Leben erwartet man, dass die Ministerin für Bildung und Forschung beim Verfassen ihrer Doktorarbeit nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet und nicht ‚geschummelt‘ hat. Wobei hier alles abhängt von der sozialen Akzeptanz, die für eine bestimmte Performance beschafft werden kann. Wieviel Konformität, wieviel Devianz ist zu bestimmten Zeiten in der Wissenschaft plausibel und verkraftbar? Mittelalterliche Textgepflogenheiten können die Verteidiger Schavans kaum geltend machen. Auch die angeblich eher ‘laxen’ Zitierweisen der 70er Jahre nicht. Sie könnten indes, so Peter Fuchs, “hinweisen auf eine Phraseologie, die etwas anmahnt, was es bei Qualifikationsarbeiten sehr selten gibt: Nicht-Schummelei.”
Nun kann weder in der Politik noch im Leben alles erwartet werden. Die mit dieser Zuspitzung einhergehenden Strukturen sind daher immer selektiv, bestimmte Kommunikationen werden von vornherein ausgeschlossen. Die Gesellschaft verspricht sich von einem Rockstar andere Dinge als vom Vorstandsvorsitzenden einer Bank und vom Vorstandsvorsitzenden einer Bank wiederum andere Dinge als von einer Ministerin für Bildung und Forschung. Von Annette Schavan wiederum wurde eine individuelle Ausführung ihrer Minister-Rolle erwartet. Kennt man eine Ministerin für Bildung, kennt man alle? Eben nicht. Was erwartet man von Johanna Wanka? Jedenfalls nichts, durch das deutlich wird, was zu erwarten gewesen wäre, wenn man es erwartet hätte.
Die Person als ‘individuell attribuierte Einschränkung von Verhaltensmöglichkeiten’ ist also nicht denkbar ohne ihre Kehr-Seite, eine kommunikativ (noch!) nicht bekannte. Wird sie bekannt, bleibt einem nichts anderes übrig, als diese Einschränkung zu modifizieren. Ist man selbst betroffen, kommt womöglich erneut die eingangs beschriebene Selektionsstrategie zum Zug, die ein Selbstbild entwirft, das bestimmte soziale Adressierungen zurückweist: Das bin ich nicht, das bin nicht ich.
Anders verhält es sich im Falle der Erwartungen Gottes, die als Verlautbarungen einer externen internen Stimme ihren Niederschlag finden – als Gewissen. Man könnte vom eigentlichen im Unterschied zum uneigentlichen Sollen sprechen. Diese Forderungen lassen sich offenbar nicht so einfach zurückweisen. Auch von Atheisten oder Agnostikern nicht, in denen das Gewissen als Säkular-Variante Form annimmt (‘Über-Ich’).