Ob der Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaabkommen tatsächlich eine zusätzliche Erwärmung der Erde um 0,3 Grad zum Ende des Jahrhunderts bedeutet oder nicht, hängt davon ab, ob die Emissionen des Landes in die Höhe gehen oder weiter sinken − und darüber kann niemand Auskunft geben. Ob eine Begrenzung auf 1,5−2 Grad ausreicht, um die globale Erwärmung zu stoppen, ist ebenfalls strittig. Dass diese Marke als idealer „Brennpunkt in einem Koordinationsspiel“ (Jaeger and Jaeger 2018) Dutzenden von internationalen Akteuren ermöglicht, einen gemeinsamen politischen Nenner zu finden, wird damit nicht bestritten, hat aber mit ihrer Wahrheit nichts zu tun. Sie ist, genau wie das Abkommen selbst, vor allem ein Symbol − ein moralisches Symbol dafür, dass die Weltgemeinschaft die Verantwortung wahrnimmt, zukünftige Lebensbedingungen auf diesem Planeten durch bestimmte Entscheidungen zu verbessern und gravierende Schäden abzuwenden. Die im Abkommen beschlossenen Maßnahmen zu unterlassen, so die Position Europas, sei riskant. Sie könnten ja helfen. Sollte man nicht zumindest das Mögliche versuchen? Selbst dann, wenn die Binnenstrukturen der etwa 200 nationalstaatlichen politischen Systeme ein derart komplexes und heterarches Geflecht darstellen − inklusive der betroffenen Publikumsgruppen, der Wähler und der Lobbyisten −, dass sachangemessene und wirkungsvolle Entscheidungen eigentlich unmöglich sind? Selbst dann, wenn die nationalen wie die internationalen Rechtssysteme die auf der Ebene der Politik getroffenen Entscheidungen ja erst noch erfolgreich implementieren müssen, was keineswegs garantiert ist, wobei es gerade im Bereich des Rechts von Nation zu Nation allergrößte Unterschiede gibt? Selbst dann, wenn auch die Wissenschaft sich keineswegs über die richtige Klimastrategie im Klaren ist, von der Kontaminierung der Debatte durch den Fokus auf den Kohlendioxidausstoß ganz zu schweigen?

Das Schema, das hier zum Einsatz kommt, ist das Schema von Risiko/Gefahr, wobei das Risiko auf der Seite der Entscheider liegt − in diesem Fall der Politiker − und die Gefahr auf der Seite derer, die von diesen kollektiv bindenden Entscheidungen betroffen sind: der Bürger, im Falle Trumps: der ‚Kunden‘. Diese können ja nicht mitentscheiden, auch wenn die Politik sie das glauben machen möchte, etwa indem sie den Einzelnen zum umweltfreundlichen Handeln auffordert. Diese Vorstellung, Änderungen mithilfe individueller Motivation durchsetzen zu können, erhält in fragwürdigen wissenschaftlichen Theorien wie etwa dem sogenannten ‚Informationsdefizit‘ zusätzlichen Auftrieb. Das Problem ist, dass diese Appelle, sich  an eine Moral des Verhaltens zu binden, möglicherweise das Gewissen des Einzelnen beruhigen, aber kaum die Steigerungsdynamik der industriell verfertigten Industriedynamik stoppen können. Auch hier geht China mit gutem Beispiel voran, weil es über genau jene Hierarchien und Kontrollmöglichkeiten verfügt, die dem individualistisch und liberalistisch strukturierten Westen fehlen, um zu verbieten, was verboten werden muss. Es muss nicht erst mühsam die erforderliche Zustimmung für die nötigen Einschänkungen des Verhaltens organisieren. Die chinesische Weltherrschaft wäre in der Lage, die zersplitterte Gesellschaft in ein Kollektivorgan zu verwandeln, das dann mittels einer CEA − central environment agency − alles Erforderliche unternehmen könnte, um sie in Richtung Umweltfreundlichkeit nachzujustieren, also Einschränkungen des Verhaltens auf einer gesamtgesellschgaftlichen Ebene  sowohl zu legitimieren wie auch durchzusetzen (vgl. Baecker 2008: 520).

Risiken gehen wir alle mitunter ein, manche von uns sogar solche, die das eigene Leben bzw. die eigene Unversehrtheit betreffen. Wenn es darum geht, sich von Gefahren betreffen zu lassen, die durch die riskanten Entscheidungen anderer entstehen, sind wir nicht so enthusiastisch. Wir können uns das anhand unseres Fahrverhaltens deutlich machen: Wir sind sehr empfindlich, was das riskante Fahrverhalten anderer angeht, während wir die von uns eingegangenen Risiken beim Autofahren gern ignorieren. An der Kündigung des Pariser Abkommens wird die Wirksamkeit des Schemas deutlich, das den Entscheider Trump und das von ihm induzierte, in Kauf genommene Risiko der Umweltverschmutzung auf die eine Seite setzt, während der Rest der Welt, der davon betroffen ist, dieses Risiko als Gefahr erlebt. 

Nur: Wer soll denn sonst entscheiden, wenn nicht die Politik? Die Wissenschaft eher nicht, denn sie kann keine sicheren Lösungen anbieten. Trump scheut bekanntlich keine Risiken; er setzt die Notwendigkeit des machtgedeckten Entscheidens bedenkenlos für die Zwecke der Primärisierung Amerikas ein. Die Frage, ob es sich im Falle des Klima-Abkommens um eine angemessene Problembearbeitung der Umweltfrage handelt, stellt sich ihm gar nicht, da sich die Angemessenheit allein auf das Einlösen seiner Wahlversprechen bzw. die Erwirtschaftung von Gewinnen bezieht.

Als Feind der Umwelt dazustehen, ist ein Risiko, das er in Kauf nehmen muss − genau wie seine Verharmlosung der Nazi-Gewalt −, da es ihm die Zustimmung seiner Anhänger sichert. Doch er ist schlau genug, diese Entscheidung nicht als eine gegen den Planeten, gegen den Umweltschutz gerichtete erscheinen zu lassen: „Even if the Paris Agreement were implemented in full, with total compliance from all nations, it is estimated it would only produce a two-tenths of one degree − think of that; this much − Celsius reduction in global temperature by the year 2100. Tiny, tiny amount.“ (Trump 2017b) Dass er damit implizit das Abkommen als unzureichend kritisiert, ist eine schöne Pointe. Außerdem, so Trump, würden die durch die Kündigung gewonnenen Gelder ja wiederum in den Umweltschutz gesteckt, wenn auch nur in den der US-amerikanischen − eine Strategie, die die Möglichkeit eines Umweltschutzprotektionismus behauptet, also Trumps Handelsideologie kurzerhand auf ökologische Fragen umlegt.

Auch die Lockerung der Sicherheitsauflagen für Bohrfirmen stellt für Trump lediglich ein Risiko dar − die Gefahr befindet sich auf Seiten der Umwelt bzw. auf jener der Arbeiter. Eine mögliche Umweltverschmutzung wird auch hier riskiert, um die heimische Öl- und Gasindustrie zu stärken, wobei die Regierung betont, dass die Revision des Regelwerks zur Produktionssicherheit dem Ziel der Regierung diene, die Marktstellung auszubauen, und nicht etwa dem, die Sicherheit zu opfern. Das ließe sich kommunikativ auch kaum vermitteln: ‚Wir nehmen den Tod von Menschenleben und Seevögeln zugunsten größerer Profite in Kauf.‘ Doch da die Revision unter anderem vorsieht, Bestimmungen zu lockern, die eine sofortige Datenübermittlung von Ölplattformen an Festlandsanlagen vorsehen, wo sie dann von den Aufsehern geprüft werden könnten, ist diese Behauptung wenig überzeugend. Der Präferenzwert ist auch hier nicht der Umweltschutz, sondern der Schutz der amerikanischen Industrie: „Nach BSEE-Berechnungen bringen die geplanten Lockerungen der Industrie Einsparungen in Höhe von mindestens 228 Millionen Dollar [190 Millionen Euro] in den kommenden zehn Jahren.“ (ntv 2017) Trump riskiert eine erneute Ölkatastrophe, riskiert die Verschmutzung des Meeres und der eigenen Küste, riskiert den Tod Hunderttausender Seevögel − und all das, weil er selbst kein Seevogel ist. Doch ob die Lockerung der Bestimmungen letztlich zu einer Katastrophe führen wird, ist völlig offen. Ob strengere Sicherheitsvorkehrungen sie verhindern könnten, ebenfalls.

Das Gleiche gilt in Bezug auf die von Trump geförderte Fördertechnik Fracking, die vielen Counties in Südtexas (Life Oak, McMullen etc.) zu bemerkenswertem Reichtum verholfen hat, weshalb sich unter den dortigen Einwohnern eine ungewöhnlich hohe Zahl von Trump-Anhängern findet. Auch hier gilt, dass die Entscheidung, zu ‘fracken’, die Möglichkeit nachteiliger Folgen in Form von Umweltschäden in Kauf nimmt, weil diese Folgen nur möglich sind. Sollte sich herausstellen, dass Fracking der Umwelt irreparable Schäden zufügt, werden Trump und die Konzerne sich verantworten müssen. Dann war seine Entscheidung eventuell der Auslöser für den Tod Tausender Kleinstlebewesen, vieler seltener Pflanzen usw. Die Kosten sind für Trump allerdings geringer, als für die Umwelt, er wird vor allem Reue zeigen müssen. Und auch in diesem Fall würde sie nicht ihn betreffen, der sie riskiert hat, denn: He won’t be there (vgl. Suebsaeng und Markay 2018). Zwar ist der Entscheider Trump beim Klima in die Folgen seiner Entscheidung als Betroffener eingebunden, aber das scheint ihn nicht zu beunruhigen, da es in Klimafragen um lange Zeiträume geht. Mit Trump: He doesn’t have to worry about future generations in theory. Unless he is a very good person who cares about people.

Hat sich Trump mit diesem Statement über Prince Charles moralisch disqualifiziert? Nur auf den ersten Blick. Auch Trump sorgt sich ja laut eigener Aussage um people. Nur eben nicht um alle. Wir haben es mit zwei Moralen zu tun, die sich nicht zur Deckung bringen lassen, einer National- oder USA-Moral und einer Umweltmoral, wobei die Umweltmoral sozial und moralisch begünstigt wird − sie trifft auf die besten Bedingungen dafür, sich zu Wort zu melden, was an Macrons und Merkels Statements deutlich wurde. Längst ist der Umweltschutz zu einem Wert aufgestiegen, finden sich reine Luft, reines Wasser, Bäume und Tiere auf einer Stufe mit „Freiheit, Gleichheit und Frauen“ (Luhmann 2008a: 140). Umwelt verpflichtet, und zwar dazu, ‚etwas zu tun‘, und sei es, ein Abkommen zu unterzeichnen. Dass auch die Entscheidung für das Pariser Abkommen riskant sein könnte, darf nicht in den Blick kommen − zumindest nicht für den, der an der Umweltbetroffenheit parasitieren will.

Doch die gemeinsame Empörung der Trump-Gegner täuscht darüber hinweg, dass das Abkommen sehr viel ‚weiche Sprache‘ enthält und sehr wenig harte Regeln darüber, wie gemessen, berichtet und überprüft wird, wie viel Kohlendioxid die Staaten ausstoßen. Nicht nur „Mr. Trump doesn’t get close enough to the dossiers“ (Juncker , zitiert nach Rettman 2017, siehe auch NBC 2017). Die Massenmedien tun es genauso wenig. Der amerikanische Präsident hat mit der Kündigung des Pariser Abkommens einen weiteren Normbruch begangen, weil er sich damit gegen die Selbstverständlichkeit (den Wert) des Umweltschutzes aussprach; tatsächlich hat er nicht so sehr einem Abkommen, sondern vor allem einem weiteren Symbol der ‚transatlantischen Wertegemeinschaft‘ seine Zustimmung verweigert. Und auch seine Kündigung war zuletzt nicht mehr als ein Symbol. Juncker hat darauf aufmerksam gemacht, dass das Abkommen gar nicht ohne Weiteres verlassen werden kann: „It would take three to four years after the agreement came into force in November 2016 to leave the agreement […]. So this notion, ‚I am Trump, I am American, America First and I’m going to get out of it’ – that won’t happen.“ (Zitiert nach Sheth 2017) Er zitiert Daenerys Targaryen bzw. George R. R. Martin: „The law is the law and it must be obeyed.“ (Zitiert nach Snopes 2017) Die Empörung in den Massenmedien hat Trump geholfen, von diesem Umstand abzulenken. Seine Kündigung erscheint als direct action: er hat gehandelt, was in den Augen der Wähler die Phantasmatik eines Subjekts, einer verantwortlichen Einheit, überhöht und sein Heldendasein bestätigt, als das Gegenteil eines ‚all-talk-no-action-politicians‘. Auf der Seite seiner Gegner dagegen hat es eine moralische Qualifizierung des Ereignisses ‚Kündigung des Abkommens‘ möglich gemacht. Win-win.

Trump – beobachtet erscheint am 19. Juni 2020 im Springer-Verlag.

https://www.springer.com/de/book/9783658247614