Paradox

Paradoxe Motivierung erzeugt Schizophrenie. Doch in dieser Paradoxie liegt auch ein Freibrief. Dank ihr lässt sich Architektur sowohl technisch als auch ästhetisch rechtfertigen.

Zwar hat jede paradoxe Kommunikation destruktive Effekte, aber der Widerspruch Kunst/Technik hat für die Architektur selbst praktisch keine Bedeutung. Und da die Interaktionsebene gegen das Paradox Kunst-Technik weitgehend abgedichtet werden kann, ist auch die laufende Kommunikation – bei aller Anerkennung einer paradoxen Konstitution des Architektursystems – davon kaum betroffen. Hier das paradoxe Makrosystem, dort die geregelte Interaktion.


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Wir sagen: Mit einem Gebäude ist mehr verknüpft als nur sein Nutzen als Regen-, Kälte- oder Blickschutz – als Abschirmung. Irgendwie reagieren Gebäude aus verschiedenen Zeiten aufeinander, so sehr, dass man sogar von Stilen sprechen kann, die sich ablösen – und irgendwie sind Gebäude Anlässe für eine spezifische Unterscheidungen nutzende Kommunikation: erkennnbar zu diesem Zweck verfertigte Ereignisse, in die ein Beobachter verwickelt wird.

Die bloße „Bezugnahme auf Gebäude“ ist demnach noch nichts Architekturspezifisches. Dafür benötigte man auch keine eigene Theorie. Entscheidend ist, was die Gebäude selbst sagen, worauf sich das Gebäude selbst bezieht. Die Kommunikation der Architektur ist die Kommunikation durch Bauwerke. Die Frage ist also nicht, wie man über, sondern wie man durch Architektur kommunizieren kann. Wie bringt es die Architektur fertig, zur Sprache zu bringen, was selbst nicht spricht? Wie gelingt es ihr, das, was nicht kommuniziert, in die Kommunikation einzubauen?
Indem sie die Positivität der Wahrnehmung mit Negationspotential ausstattet, . Indem sie Kommunikation – Sinn – sinnlich erfahrbar macht. Die Kompaktheit der Wahrnehmung und die Diskontinuität des Zeichengebrauchs, unkonventionelle Präsenz (die je eigene Wahrnehmung) und konventionelle (Zeichen, Themen) fallen im Bauwerk in eins: in eine kompakte Kommunikation, die Wahrnehmung diskontinuiert und Kommunikation komprimiert.

Man kann mit einem Mal Nein sagen zum eigentlich nicht Verneinbaren, zur Wahrnehmung. Zu dem, was dieses Material, diese Formenwahl, diese “gefaltete Röhre”, dieses Gesims aus verzinktem Eisen gibt. Was hier geschieht, ist ein Statuswechsel, denn ein Haus teilt ursprünglich nichts mit. Aber jetzt kommt ein: Was sagt es und wie sagt es, was es sagt? Ein Ding, ein Gebäude fordert plötzlich dazu auf, an ihm Information und Mitteilung zu unterscheiden. Es fordert dazu auf, obwohl es kompakt ist – und nicht sinndurchlässig wie Sprache.

Im Gegensatz zu Kommunikation lässt sich Wahrnehmung nicht verneinen. Kommunikation spricht über die Welt, über Wahrnehmung, indem sie Wahrnehmungserfahrungen etwa verschriftlicht, versprachlicht, und so in eine potentielle Absenz zwingt, in eine anwesende Abwesenheit, Wahrnehmung dagegen ist die Welt: präsentisch evident, unverneinbar gegenwärtig.

Man sieht, was man sieht, auch wenn man seinen Augen nicht traut. Man kann zwar sagen, dass einem nicht gefällt, wie der Freedom Tower aussieht – aber erst, nachdem man ihn gesehen hat. Wahrnehmung referiert, ohne zu bezeichnen: sie ist positiv. Will man eine solche kompakte Positivität, eine solche präsentische Evidenz, eine solche unaustauschbare Gegenwart zum Sprechen bringen, in die Kommunikation integrieren, Wahrnehmung kommunizieren,  muss die Wahrnehmung ‘nein’ sagen können zu dem, was man nicht verneinen kann, weil man immer schon ‘ja’ dazu gesagt hat.

Wie gelingt es der Kommunikation, dieses “Defizit” (Luhmann) der Wahrnehmung zu kompensieren? Indem sie die Positivität mit Negationspotential ausstattet, die unkonventionelle Präsenz konventionalisiert. Indem sie Sinn sinnlich erfahrbar macht.

Die unkonventionelle Präsenz (die je eigene Wahrnehmung) und die konventionelle Präsenz (Zeichen, Themen) fallen im Bauwerk in eins: in eine kompakte Kommunikation, die Wahrnehmung diskontinuiert und Kommunikation komprimiert.
Man kann mit einem Mal ‘nein’ sagen zum eigentlich nicht Verneinbaren, zur Wahrnehmung. Zu dem, was dieses Material, diese Formenwahl, dieses Gesims aus verzinktem Eisen „gibt“. Wahrnehmung wird in die Kommunikation eingeführt. Was hier geschieht, ist ein Statuswechsel, denn ein Gebäude teilt ursprünglich ja nichts mit. Genau darauf kommt es nun aber an: Was sagt das Gebäude? Und wie sagt es, was es sagt? Es fordert uns dazu auf, an ihm Information und Mitteilung zu unterscheiden. Es spricht uns an.

Empiriefähig

Die Philosophie verhält sich zur Wissenschaft wie die Kunst zur Architektur.

Wie meinst du das?

Ein zentraler Unterschied zwischen Philosophie und Wissenschaft liegt zum Beispiel darin, dass die Philosophie die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis prioritär setzt. Sie ist für die Resultate empirischer Forschung weitgehend blockiert. Was auch immer der Empiriker an neuen, den Thesen widersprechenden Daten dem Philosophen zumuten mag, es interessiert ihn nur am Rande. Anders die Wissenschaft, die sich nicht abschottet gegen empirische Forschungsergebnisse. Im Gegenteil: sich von ihnen irritieren lässt. Genau wie die Architektur! Und genau wie die Wissenschaft setzt die Kunst setzt die Frage nach den Bedingungen von Schönheit prioritär. Für sie zählt nichts anderes. Während Architektur sich durch Fragen der Nutzung, durch Fragen der Zwecke betreffen lässt. Sie ist per se empiriefähig. Entweder ein Gebäude hält oder es hält nicht. Kunst ist nicht irritabel durch Fragen der Nutzung, Architektur schon. „Wollte sie“, sagt Adorno, „aus Überdruß an den Zweckformen und ihrer totalen Angepaßtheit, der ungezügelten Phantasie sich anheimgeben, sie geriete sogleich in Kitsch.“

Ich glaube, Adornos Einwand zielt auf etwas anderes – auf den utopischen Charakter der Kunst, die aber nicht utopisch sein darf, weil sie die Utopie dann an ‚Schein und Trost’ verrät.

Das ändert aber nichts daran, dass die Prüfoption für ein Gebäude nicht allein seine Schönheit ist. Sondern in erster Linie die Tragfähigkeit der architektonischen Formen. Diese Formen sind offen für empirische Einwände, ganz ähnlich wie das Heck eines Audi TT. Wenn ein Haus einstürzt, ist das ein Einwand. Wenn sich die Einwände häufen, müssen diese Formen verworfen werden. Sie taugen nicht für die Architektur. Sie mögen kunsttauglich sein, weil sie schön sind, aber Schönheit ist architekturintern kein entscheidendes Kriterium. Viele Gebäude formulierten damals ihre Einwände selbst.

Das Wort kommt nicht umsonst von Wand.

Richtig. Die Kunst muss ihre Objekte nicht empirisch kontrollieren. Ein Gemälde kann nicht einstürzen.

Vor allem muss in einem Gemälde niemand wohnen.

Die Architektur muss sich, als Kunst des Bauens – als Kunst zwar, aber eben als eine, die sich Fragen der Schwerkraft und der Nutzung zu stellen hat – empirisch disziplinieren lassen. Sie muss sich messen lassen an eben diesen empirischen Referenzen.

Aber was unterscheidet sie dann noch vom Design? 

Nichts?